Na dran: Swinger in Coldwater, Michigan

Jim Bilsborow

Wechselwähler und Wechselstaaten werden die Wahl in Amerika am nächsten Dienstag entscheiden. Zum Beispiel Michigan, das unter Reagan und Bush senior eine Bastion der Republikaner war, von Bush junior an die Demokraten verspielt wurde – und nun wieder zu den sogenannten „Tossup-States“ zählen, die für beide Parteien gewinnbar sind. Niemand spiegelt diesen Wandel Michigans besser als Jim Bilsborow aus dem Flecken Coldwater, der in seinem Leben sehr weit geschwungen ist.

Seit er wählen durfte hat Jim Bilsborow für die Republikaner gestimmt – und heute ist der pensionierte Lehrer Parteivorsitzender im konservativen Landkreis Branch. Allerdings nicht für die Republikaner, sondern für die Demokraten.

Dennoch weist Jim den Verdacht, ein Swinger zu sein, weit von sich – und zitiert ausgerechnet Ronald Reagan (der früher mal Demokrat war):  „Ich habe die Demokraten nicht verlassen, die haben mich verlassen.“ Genauso sei es ihm mit den Republikanern gegangen, erzählt der zurückhaltende Mann mit den grauen Haaren unter der Basballkappe.

Spätestens mit Bushs Krieg gegen den Irak sei für ihn und seine Frau Jacki klar gewesen, dass die Republikaner nicht mehr seine Heimat sind: „Wie kann man eine solche Partei nur wählen – die sich gegen den Verbot einer Kalaschnikow als Jagdwaffe oder gleiche Bezahlung für Frauen wehrt!?!“

Konsequenterweise ist Jim bei den Demokraten eingetreten, hat sich 2008 Hunderte von Anrufen bei stockkonservativen Farmern in der Nachbarschaft von Coldwater abgerungen und jetzt sogar bereitschlagen lassen, das unpopuläre Amt des örtlichen Parteichefs zu übernehmen.

In der Regel, erzählt Jim, laufe es jedoch umgekehrt: von denjenigen seiner Nachbarn, die im Herzen demokratisch denken, seien viele zu den Republikanern gegangen, weil sie nur so an öffentliche Ämter in der Region kämen. Selbst der Sheriff, in den USA ein Wahlamt, habe ihm das gestanden.

Dabei sind die Frontlinien gar nicht so einfach nachzuverfolgen, weder in der Stadt noch im Bundesstaat. Coldwater liegt im Süden von Michigan und hat 2008, wenn auch nur knapp, für John McCain gestimmt. Michigan insgesamt, in dessen Osten mit Detroit viel Autoindustrie liegt, ging jedoch mit seinem 16 Wahlmännern an Barack Obama, der mit 16 Prozent Vorsprung siegte.

Kurz darauf rettete Präsident Obama Chrysler vor dem Untergang – und dennoch ist diese komfortable Mehrheit  in den Umfragen auf gerade noch drei Prozent geschrumpft, so dass Michigan nun wieder als Tossup-State gilt.

Warum das so ist, dafür hat auch Jim keine stichhaltige Erklärung. Klar habe Obama nicht alle Erwartungen erfüllt – aber dafür sei doch gerade die Totalblockade der Republikaner im Kongress verantwortlich. Und die Gesundheitsreform, Obamas größtes Reformprojekt, werde in seinen Details von den Menschen in Coldwater zwar als Fortschritt gewertet, in seiner Gesamtheit aber als Eingriff in die Freiheitsrechte verurteilt.

Dahinter stecke, urteilt Jim, eine ignorante und egoistische Einstellung vieler seiner Mitbürger, die sich von der Tea-Party und der Propaganda von Fox-News beeinflussen ließen. Ihn selbst lässt das völlig ratlos zurück: „Was ist nur schief gelaufen in diesem Land?“
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Dieser Beitrag ist Teil eines Reise durch einige US-Bundesstaaten, die bei der Wahl am kommenden Dienstag besonders wichtig sind. Weitere Fotos gibt es hier, die geplante und tatsächliche Reiseroute sieht so aus:

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Georg Watzlawek

Autor: Georg Watzlawek

Journalist, Ökonom, Blogger. Lokal global, mit einem besondern Blick auf die USA, Russland und Bergisch Gladbach.