Keine zwei Wochen ist es her, da galt der Republikaner Mitt Romney noch als sicherer Verlierer der US-Präsidentschaftswahl. Zu hölzern, zu ahnungslos, zu chancenlos lautete das allgemeine Urteil. In den nationalen Umfragen lag er deutlich hinter Präsident Barack Obama, bei den Hochrechnungen für die Verteilung der entscheidenden Wahlmänner in den Bundestaaten eigentlich uneinholbar zurück.
Doch genau das ist das faszinierende am Ritual des amerikanischen Wahlmarathons: wenn es langweilig zu werden droht wird es wieder spannend. Mitt Romney reichte eine herausragende Leistung beim ersten TV-Duell Anfang des Monats – und das Glück eines ausgesprochen schlecht aufgelegten Obamas – und das Pendel schwang um. Romney legte in den Umfragen sofort zu, der Vorsprung Obamas bei der Hochrechnung der Wahlmännerstimmen schrumpfte kräftig zusammen.
Inzwischen ist das undenkbare zwar noch nicht wahrscheinlich, aber denkbar. Romney, der sich nach dem beinharten parteiinternen Vorwahlkampf rasch wieder ins politische Zentrum orientierte, gewinnt als „Moderate Mitt“ in den entscheidenden Wählerschichten kräftig hinzu.
- Die Mittelschicht sieht in dem Mann, der für die Steuerprivilegien der Superreichen kämpft, aber in vielen zentralen wirtschaftspolitischen Punkten gar nicht soweit von Obama entfernt ist, plötzlich eine neue Chance auf eine bessere Zukunft.
- Die Wall Street spenden noch kräftiger für den Mann der freien Märkte.
- Und selbst die Frauen, die bislang als sichere Bank für die Demokraten galten, wanken plötzlich.
Obama has a serious woman problem. Mid-September he lead by 18 points. Now he's tied. http://t.co/TuLd2huF : http://t.co/OY3Flzdy
— Gary Younge (@garyyounge) October 16, 2012
Also reichlich Grund für das Team von Obama, nervös zu werden. Wir ihr Horrorszenario aussehen könnte zeigte Time-Journalist Mark Halperin auf: Mitarbeiter der Romney-Kampagne hatten ihm das Bild ihrer Version der Karte der sogenannten Swingstates gezeigt: und dort sind plötzlich Bundesstaaten rot (für die Republikaner) eingezeichnet, die bislang rot (für die Demokraten) waren – oder dorthin tendierten.
Das Kalkül dahinter: wenn Romney alle drei gemeinhin als unentschieden, aber als Hochburger der Republikaner geltenden Staaten Florida, North Carolina und Virginia gewinnt – und dann auch noch den zentralen Swingstate Ohio, dann hat er die Präsidentschaft so gut wie in der Tasche. Und ein Blick auf die aktuellen Umfragen in diesen Staaten zeigen, dass dieses Ziel nicht völlig unrealistisch ist.
Das heißt jedoch noch lange nicht, dass Obama die Wahl bereits verloren hat. Seit seinem merkwürdig lustlosen Auftritt bei der ersten TV-Debatte hat sich seine Mannschaft voll und ganz auf die zweite Runde in der kommenden Nacht konzentriert. Und sein Vizepräsident Joe Biden hat in seinem Duell gegen den frechen jungen Running Mate von Romney, Paul Ryan, gezeigt, wie man die Rethorik der Republikaner kontern kann.
Davon auszugehen, dass Obama ein zweites Mal versagt, sei realitätsfremd, bringt es Joe Weisenthal auf den Punkt:
Is there anyone who has predicted that Obama just gets totally crushed tomorrow again? That seems like the real Black Swan outcome.
— Joseph Weisenthal (@TheStalwart) October 15, 2012
Hart, konsequent, aber keinesfalls verbittert werde Obama Romney nun in die Schranken verweisen, verlautet aus seiner Mannschaft. Argumente, die für seine Leistungen in extrem schwierigen Zeiten und sein Programm für die Zukunft hat er vorbereitet. Und auch weisen Romney Konzepte zur Sanierung des Staatshaushaltes große Widersprüche auf. Extra zur Debatte hat das Democrativ National Committee dazu eine innovative Website gebaut – und Bill Clinton nimmt Romney Taxplan in diesem Video sehr effektiv auseinander:
Aber auf Fakten kommt es bei der TV-Debatte gar nicht an, sondern auf einen guten Eindruck.
Den wird Obama heute liefern müssen. Mein Tipp: Er wird es.
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